Roman | Arbeitstitel
Als die Journalistin Alessa eines Tages beim Yoga Christa kennenlernt, ahnt sie nicht, wie einschneidend sich diese Freundschaft auf ihr Leben auswirken wird. Auch nicht, nachdem sich Christa einige Zeit später in Danio verliebt. Zumal die Frauenfreundschaft nun droht, im Sand zu verlaufen. Erst in einer schweren Krisenzeiten finden die beiden Frauen wieder zueinander. Nachdem Christa Danio verlassen hat, gibt dieser sich seinem eigenen Verfall hin. Seine psychischen Probleme und Ängste vor dem Leben verdichten sich zusehends. Eines Tages entdeckt er in der Stadt eine Frau, die Christa sehr ähnlich sieht und die er von da an stalkt. Einen Tag vor Heiligabend brennen seine Sicherungen durch.
(Schreibprozess seit 2008)
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Was habe ich schon zu verlieren? Ein Satz – ein Echo aus einer anderen Welt. Er reibt sich den Schlaf aus den Augen. Nur langsam setzt er sich zusammen und stützt sich an der Wand ab. Der Wecker zeigt sechzehn Uhr einundzwanzig. Durch die dünnen Vorhänge dringt novemberliches Dämmerlicht. Der kürzeste Tag naht. Bald Weihnachten.
Er geht in die Küche. Verheddert sich in seinen Kleidern, die am Boden liegen und hält sich am Küchentisch fest. Durch den Ruck fällt die halbleere Bierflasche vom Mittag um. Eine gelbe Pfütze breitet sich auf dem Tisch aus und tropft zu Boden. Lauwarmer Biergeruch und Brechreiz. Mit einem Lappen, der am Tischrand klebt, wischt er die Bierlachen auf. Dabei ist da nichts zu lachen, gar nichts. Zwischen eingetrockneten Tellern bleibt der triefende Lappen in der Spüle liegen.
Er setzt sich hin und trinkt das Wasserglas leer, das den Bierflaschensturz überlebt hat. Auf einmal sind die Bilder wieder da. Das Loch. Er selbst hatte es ins Eis gebohrt. Womit? Er hat es vergessen. Noch so eine Lücke. Eines dieser Löcher, wie sie die Eisfischer bohren, war es. Und er hatte ein Seil, eine Angelleine vermutlich, ausgeworfen. Knüpfte er an Erfahrungen an? Erinnert ein Traum an Vergangenes – geschönt und poliert oder verzerrt und pervertiert –, das nun durch seine Sinne geistert?
Das Loch. Er hatte sich zugeschaut, im Traum, wie er darum herum getappt war. Vorsichtig, um nicht einzubrechen. Um sich nicht zu verlieren. Um nicht unterzugehen im Leck. In der Lücke zwischen gestern und morgen. Im Jetzt. Lücke ohne Brücke. Loch im Nichts. Loch in der Zeit. Ohne Erinnerung. Ohne Energie. Ohne Bewegung und ohne Geräusche. Keine Musik, kein Thema. Kein Gewicht. Kein Gesicht. Leere Zeit. Leeres Loch. Schwarzes Loch.
Verdichtetes Nichts. Dichter als Nebel. Und er mitten drin. Versunken, betrunken, ertrunken, verträumt, verlassen. Verdichteter Nicht-Mann. Verdichtetes Nicht-Ich. Mitten im Nicht das Ich, das nicht wirklich ist, weil er sich weigert, jetzt zu sein. Jetzt hier zu sein. Jetzt er zu sein. Obwohl er dennoch ist. Absurdes Urteil, leben zu sollen. Leben zu wollen?
Selbst gewählt? Als ob ich es aus der Aktionenwühlkiste herausgezogen hätte, dieses Leben, das ich trage, denkt er und trinkt noch einen Schluck Wasser. Ein Leben, das ich mir irgendwann übergestreift habe. Wie sonst könnte ich hier sein?
Ein Ich ohne Inhalt. Ein Nicht. Schon immer leer. Schon immer. Noch immer. Das schwarze Loch – noch immer schwarz. Oder nie und nichts. Alles Illusion.
(1. Zitat aus Alessa und das Loch im Eis)
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Sein Leck ist unsichtbar. Darum ignoriert er es. Beweisen kann man so etwas sowieso nicht. Das Leck, das schwarze Loch frisst alles auf. Es frisst das Nichts auf, mit dem er sich füttert. Die Leere. Den Mangel. Es ist über all die Jahre nicht kleiner geworden. Immer ruft es nach mehr. Sein Loch will Liebe, Verständnis, Berührung, Aufmerksamkeit. Doch selbst die beste Speise nährt ihn nicht. Und das Loch erst recht nicht. Alles läuft aus. Alles läuft davon.
Wer das Loch gerissen hat oder woher es kommt, weiß er nicht – nur kennt er das Ziehen, das Reißen und er ahnt mehr als er es weiß; dass es nämlich schon immer da war. Schon so lange, wie es ihm gelingt, sich zurückzuerinnern. Als würde er sich weit aus dem Fenster lehnen und dem Kind zuschauen, dass er war.
Schon immer hungerte das Loch in ihm, danach dazuzugehören, danach nicht so sehr anders zu sein, nicht so sehr zu sein wie er. So? Wie so ist er denn überhaupt und wie viel anders darf einer denn sein, um nicht aufzufallen, um nicht rauszufallen? Eigentlich ist er doch ganz in Ordnung. Vielleicht.
Aber niemand merkt es, weil er unsichtbar ist. Er selbst ist das Leck. Er selbst ist das schwarze Loch. Und wenn er noch so sehr sein Inneres nach außen stülpt um das Loch zu finden und zu reparieren, er findet es nie. Er bekommt es nicht zu fassen, denn das Loch ist ja er selbst.
Und darum, darum wird er nie genug bekommen. Nie genug Liebe. Nicht von ihr. Schon gar nicht von sonst wem. Und darum gibt es nur eins.
(2. Zitat aus Alessa und das Loch im Eis)
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© by Denise Maurer
Ich habe eine Frage zu deinem Text: „Der Wecker zeigt vier Uhr einundzwanzig. Durch die dünnen Vorhänge dringt novemberliches Dämmerlicht. “
Ist es also nachmittags? Wäre es morgens, würde es ja noch nicht dämmern. Wäre es nachmittags, würdest du sechzehn Uhr einundzwanzig sagen, da es offenbar um eine Person geht, die präzise Angaben macht (21 Min. werden erwähnt), was ich als Charakterisierung verstehe. Aber es ist eben nicht klar, um welche Tageszeit es sich handelt.
Ansonsten: Schöne Webseite, schöne Idee. Ich finds auch toll, dass du eigene Texte vorstellst, die man kommentieren kann. Hätte ich mehr Zeit, würd ich das auch machen. 🙂
In der Denk- und Sprechsprache sagen wir doch nachmittags vier Uhr? Oderrr? Also hierzulande auf jeden Fall.
Danke!
Die Texte waren vorher auf dem Blog, kommentierbar 🙂
Ich freu mich, wenn ich solche Hinweise bekomme.
Was soll ich bloß tun hier? Es sind ja seine Gedanken …
Ich hab nochmals drüber nachgedacht, liebe Anhora. Natürlich muss es 16:21 heißen, weil … es ist ja ein Wecker und das sind digitale Zahlen. Logisch. Danke, dass du es gemerkt hast. Super!
Also ich sag auch morgens vier Uhr! Mich hatte es irritiert, weil die Minutenzahl präzise angegeben war, also muss auch die Stundenzahl korrekt genannt werden. Deshalb folgerte ich, dass es morgens vier Uhr sein muss. Aber da dämmert es im Dezember halt nicht. Jetzt hast du es ja geändert, und ich geb Ruhe. ;-D
Und du hast recht. Er las die Uhr am Wecker ab … Drum bin ich überzeugt und habe es auch im Originalmanuskript geändert! Danke!