Ich bin davon überzeugt, dass es – ungeachtet jeglichen Verständnisses und jeglicher Definition von Kunst – Menschen gibt, die nicht leben können, ohne sich künstlerisch oder kreativ auszudrücken. Genauso gibt es Menschen, die diesen Drang nach Ausdruck nicht oder nur in geringem Maß verspüren. Beides ist gut so, wie es ist.
Für mich steht im Mittelpunkt künstlerischen Schaffens weniger das Endprodukt als der Weg, der Prozess, der Augenblick des Erschaffens. Auf diesem Weg erblüht die KünstlerInnenseele schlechthin. Auch eine Blume erblüht einzig deshalb, weil sie so ist, wie sie ist. Weil sie entfaltet, was in ihr angelegt ist. Nicht um uns zu gefallen. Ganz nebenbei und absichtslos erhält und vermehrt sie so ihre Art. Ihre Schönheit zeugt von der schöpferischen Idee von Fülle und Überfluss und ist ganz und gar uneitel und absichtslos. Luxus. Selbstzweck. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass Absichtslosigkeit ganz besonders auch im künstlerischen Ausdruck erlaubt ist. Dieser ist umso authentischer, je weniger er zu gefallen versucht. Er kann damit niemals den kommerziellen Aspekt im Mittelpunkt haben.
Der künstlerische Prozess verkommt zu bloßer Prostitution und Seelenverkauf, wird dem Produkt mehr Aufmerksamkeit gezollt als dem Prozess. Dieser inneren Reise, die sich materiell ausdrückt. (Kunsthandwerk klammere ich hier aus, da dieses per Definition dem Broterwerb dient. Darunter verstehe ich Keramikmalerei und Töpfern ebenso wie journalistisches Arbeiten, Kunsttherapie und vieles mehr. Diese Klammer ist wertfrei gemeint).
Das schöpferische Sein und Schaffen ist eine grundsätzliche Lebenshaltung und widmet sich primär der Wahrnehmung und dem Ausdruck von Eigensichten und Innenräumen. Der eigenen Wahrnehmung in Resonanz mit der Außenwelt. Es geht dabei um Wandlung und Transformation von Eindruck in Ausdruck.
Identifiziert sich das Publikum mit der gefundenen Form des künstlerischen Ausdruckes, ohne dass sich dessen Schöpfer, dessen Künstlerin dem Geschmack des Publikums angepasst hat, ist dies ein willkommener Nebeneffekt. Auch ein Künstler, eine Kunstschaffende braucht Geld, um laufende Kosten zu decken. Neben Ermutigung und Anerkennung braucht jedoch ein kreativer Mensch ebendiesen Ausdruck durch die ihm entsprechenden Formen! So sehr wie grundlegenden Dinge, Nahrung, Wasser und ein Dach über dem Kopf. Ausdruck ist der KünstlerIn existentiell. Ich wage sogar zu behaupten, dass er oder sie leidet, wenn das weder Zeit noch Raum ist, schöpferisch tätig zu sein.
Worin unterscheidet sich nun ein künstlerisch tätiger Mensch von einem anderen? Seine Triebfeder ist jenes existentielle Drängen und tiefe Bedürfnis, Innen- und Außenwelt wahrzunehmen und darzustellen, die Begegnung mit Ideen und Inspirationen und das Bedürfnis über das Leben und seine vielfältigen Formen nachzudenken, eigene Perspektiven, Denk- und Betrachtungsansätze zu entwickeln. Mehr noch als eine Auflistung von Ausstellungen und Veröffentlichungen. Selbst ein unbekannter Kunstschaffender, eine unentdeckte Künstlerin kann eine KünstlerInnenseele beheimaten. Oft genug fehlen ihr Selbstvermarktungsfähigkeiten und Geschäftssinn.
Wie steht es dabei mit dem Talent, mag man sich hier fragen? Talent allein, so meine These, macht die eigentliche KünstlerInnenseele nicht aus. Diese ist einfach da. Einem Fluss gleich. Ein Mensch kommt mit seiner KünstlerInnenseele, mit diesem unterirdischen Fluss, zur Welt. Und dieser sucht sich zeitlebens seinen Weg. Sucht sich sein Bett, seine Ausdrucksmittel und seine Form.
Die erzeugte Resonanz in der Öffentlichkeit, wenn jenes zu diesem Menschen passende Medium gefunden worden ist, wird wohl Talent genannt, doch diese Talent-Etikette verleihen in aller Regel andere. Möglicherweise wir durch die Entdeckung eines solchen Talentes der unterirdische Fluss aus dem Dunkel hervortreten und damit sichtbar. Doch, wie gesagt, nicht das Sichtbarwerden des künstlerischen Flusses definiert die KünstlerInnenseele. Diese genügt sich meist selbst und beansprucht einzig Raum, um fließen zu können. Sichtbar oder unsichtbar.
Gesehen werden hat Vor- und Nachteile. Keine Frage: Die Sehnsucht nach Ausdruck ebenso wie der Ausdruck selbst, bergen meist den Wunsch nach Verständnis und Resonanz in sich. Erschaffenes ist fragil. Oft genug zerstört Kritik, oder verletzt zumindest, was da am Werden ist. Oder jedenfalls vorerst den kleinen Mut am Sichtbarmachen. Anerkennung ist also nicht alles. Sichtbarmachen kann ungewollt oder bewusst eine Anpassung an den breiten Geschmack des Publikums nach sich ziehen und den Verlust der Originalität bedeuten. Vorteile öffentliches Sichtbarmachen künstlerischen Ausdruckes sind natürlich, neben ermutigenden Rückmeldungen, auch die kommerziellen Effekte. Ein gefüllter Geldbeutel lässt besser schlafen, keine Frage. Er macht aber auch bequem.
Ermutigende Rückmeldungen sind, wie ich selber erfahren habe, ebenfalls kreative Prozesse, Dialoge. Wird im Betrachtenden, in der Leserin etwas geweckt, genährt, angesprochen oder berührt, das einen Wiedererkennungseffekt heraufzubeschwören vermag, geschieht etwas: Bei der Künstlerin ebenso wie beim Betrachter. Das Produkt verselbständigt sich, ist Medium und Spiegel. Dient beiden gleichermaßen. Und dies rechtfertigt öffentliches Sichtbarmachen mehr als genug.
Dennoch glaube ich, wie gesagt, nicht, dass die KünstlerInnenseele an der Zahl ihrer sichtbar gemachten Produkte zu messen ist, sondern an ihrem Ausdrucksbedürfnis. Auch ein ruhender Vulkan ist ein Vulkan. Er wird durch seine Beschaffenheit definiert, nicht durch die Häufigkeit seiner Eruptionen.
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14. Juni 2009/überarbeitet 2015 | © by Denise Maurer
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