Romane | Arbeitstitel
Sonderbar | Der Krähenbaum erzählen zweimal die gleiche Familiengeschichte. Die Geschichtenweberin Camilla, elfjährige Tochter der alleinerziehenden Lia, sehnt sich nach Normalität. Ihre Mutter, erfolglose Künstlerin, träumt vom Durchbruch. Beide, Mutter und Tochter finden über ihre Kunst, ihre Ausdrucksform, einen Weg zu ihrem persönlichen Glück.
In Der Krähenbaum erzählt Camilla von ihrem Leben und
in Sonderbar erzählt Lia ihre Sicht der Dinge.
Nachfolgend je ein Ausschnitt …
Der Krähenbaum
„Mam, gibt es eigentlich Bücher, die Kinder geschrieben haben?“, frage ich Lia. Sie steht an der Anrichte und schneidet Tomaten.
„Ich denke schon. So viel ich weiss, hat Federica de Cesco ihr erstes Buch als Kind geschrieben. Wieso?“
„Nur so. Ich habe mir eben vorgestellt, wie schön es wäre, wenn es aus meinen Geschichten ein Buch gäbe …“
„Ja! Und wie schön es wäre, wenn eines Tages jemand zu mir käme und sagen würde: ‚Genau das habe ich gesucht! Genau solche Figuren! Genau diesen Stil!’ Jeden Tag wird es Abend und niemand kommt. Bei Büchern ist es leider ganz ähnlich.“
„Findest du denn meine Geschichten nicht gut?“
„Doch, natürlich! Sehr sogar! Aber eben. Du findest ja meine Figuren auch gut, nicht wahr?“ Ich nicke. Besonders die letzten gefallen mir.
„Es ist eben so,“ sagt sie, „dass die Menschen ganz verschiedene Geschmäcker haben und alle Menschen anders sind. Das heisst nun nicht, dass unsere Kreationen nicht gut sind!“
„Mam, mach doch ein Fotobuch!“ Ich sehe es schon vor mir. „Ich weiss! Wir machen zusammen ein Buch. Mit meinen Geschichten und mit deinen Figuren drin!“ Lia lacht. Nein, sie lacht mich nicht aus, sie lacht, weil sie die Idee gut und verrückt und unmöglich findet.
„Weisst du was? Vor einiger Zeit habe ich mir in Bern, in einer klitzekleinen Buchhandlung einen wunderbaren Bildband angeschaut. Von ein paar Frauen, die ganz spezielle Kunststile entwickelt haben. Kein Schwein wollte das Buch kaufen, obwohl es genial ist. Mir war es leider zu teuer.“
„Das MUSS ich sehen! Bitte, Lia!“ Mam schmunzelt.
„Ich weiss doch gar nicht mehr, wo das war. Irgendwo in der Altstadt.“
„Biiitte Mam!“
„Also gut. Nächste Woche. Abgemacht?“
„Abgemacht!“ Give me five. Das Klatschen unserer Hände hallt durch die Küche. Kaum ist der Abwasch erledigt, schreibe ich das nächste Kapitel ins Reine.
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Sonderbar
„Ich lag da und zählte die Risse an der Wand und fragte mich, ob ich jemals wieder heil werde.“ Lia nimmt einen Schluck Orangensaft. „Ich habe mir noch im Krankenhaus geschworen, mich niemals mehr zu verlieben. Kannst du das verstehen? Niemals mehr von einem Mann herumgeschubst werden.“ Wut macht sich breit. Gut verpackte Trauer.
„Das kann ich verstehen“, sagt Lotta.
„Verstehst du mich wirklich? Lieber keine Liebe als eine solche! Liebe macht so verdammt verletzlich. Und so verletzt werden wie damals, will ich nie mehr!“
„Das war ja auch keine Liebe! Das war – bestenfalls – ein Tanz der Hormone. Verliebtheit. Doch es gibt da noch etwas anderes. Wirkliche Liebe. Liebe, die lebendig macht. Natürlich bist du verletzlicher, wenn du liebst. Aber auch erst richtig lebendig. Ich denke an deine Eltern. Sie sind wohl noch immer zusammen? Für mich waren sie immer das große Vorbild.“
„Ja, sie sind noch immer zusammen. Und noch immer glücklich. Sie haben ein Geheimnis, das ich bisher nie entdeckt habe. Glaubst du denn, dass ich nicht wirklich lebe, weil ich mich nicht auf einen Mann einlassen will?“
„Nein, das nicht. Nicht grundsätzlich. Ich denke nicht, dass du nicht liebst. Du liebst deine Tochter, deine Eltern. Freunde, Freundinnen. Doch ich vermute, du hast Angst vor der Liebe zu einem Mann.“
„Wie du das so sagst …? Hm. Vermutlich. Vermutlich habe ich Angst. Doch ist das nicht verständlich?“
„Natürlich. Doch es ist über zwanzig Jahre her. Und es muss nicht dabei bleiben. Es ist vielleicht endlich Zeit, deinen Schwur zu knacken! Ich glaube, du hast dich lange genug bestraft. Und deine Männer wohl auch.“
„Bestraft? Mich bestraft? Meine Männer? Das finde ich also ganz schön krass!“
„Ja, vielleicht ist das krass ausgedrückt. Doch ist es nicht so, dass du in erster Linie dich eingeschränkt hast. Und in zweiter Linie wohl auch deine Männer.“
„Eingeschränkt? Ich denke, ich habe mir einfach alle Freiheit genommen, die sich sonst die Männer im Umgang mit Frauen nehmen …“
„Das tönt nach Rache!“
„Gut möglich!“ Lia lacht bitter.
„Und? Hat es sich gelohnt?“
„Gelohnt! Echt, du stellst Fragen! Gelohnt! Ich bin lieber alleinerziehend als eine brave Hausfrau, die frustriert tagtäglich ihrem Ehemann den Haushalt macht, sein Essen kocht und seine Socken wäscht!“
„Klischees!“
„Das ist doch der normale Ehealltag …“ Lias Stimme ist laut geworden.
„Ich kenne zum Glück auch ein paar löbliche Ausnahmen, Lia. Mich zum Beispiel. Deine Eltern. Undsoweiter. Sag mal, hast du dir schon mal überlegt, dass du immer die Wahl hast? Auch deine brave Klischee-Hausfrau hat sich ihr Leben womöglich genau so gewählt. Und nur sie alleine weiß, ob sie glücklich ist. Was für dich von außen entsetzlich aussieht, entspricht möglicherweise ihrem Ideal. Das ist nicht deine Geschichte. Du kannst nur für dich wählen.“
„Meine Geschichte wäre dann wohl die einer unglücklichen, alleinerziehenden und erfolglosen Künstlerin, die es nicht schafft einen Mann zu lieben …?“ Wie ein Sommergewitter entlädt sich Lias Wut von Neuem. Tränen spritzen aus ihren Augen, das Kajal läuft über ihre Wangen. Lotta zupft ein Taschentuch aus der Box auf dem Tisch legt es auf Lias Oberschenkel. Beide sagen lange sagen kein Wort. Lia ringt nach Luft. Die jahrelang gebaute Staumauer ist gebrochen.
„Es tut so weh. Als wäre ich hier wund!“, flüstert Lia endlich und legt sich die Hand auf ihre linke Brust.
„Solche Wunden lassen sich heilen, glaub mir. Darüber reden ist der erste Schritt. Aber ich sage dir dies nicht als Therapeutin. Sondern als Freundin. Die ich noch immer, oder wieder neu, sein will.“
„Danke.“
„Sehe ich das richtig: So richtig überzeugt von deinem Lebenskonzept scheinst du doch nicht zu sein?“
Lia schüttelt den Kopf, langsam und immer von Neuem. Endlich hinschauen tut weh.
„Und deine Tochter gibt deinen Männern Nummern?“
„Ja, sie wünscht sich so sehr, dass ich endlich – und zwar am liebsten ihren Vater – heirate. Na ja. Mir ist neulich der Name ihres Vaters herausgerutscht.“
„Wie bitte? Sie wusste zuvor nicht einmal, wie ihr Vater heißt?“ rutscht es Lotta heraus. Auch Lia ist überrascht. Allerdings von der Reaktion ihrer Freundin.
„Wieso hätte ich ihr denn diesen sagen sollen, wenn mich mit ihrem Vater nichts verbindet? Es ist irgendein Mann gewesen. Und ich wollte ein Kind. Für mich war es nicht wichtig, wer er ist. Zumal ich ihm nichts von meinem Kinderwunsch und von meiner Schwangerschaft gesagt habe.“ Lotta schüttelt kaum merklich den Kopf. Offenbar gibt es doch noch Dinge, die sie überraschen können. Sie staunt über die Selbstverständlichkeit, mit der Lia ihr Recht, ihrer Tochter ihren Vater vorzuenthalten, darlegt.
„Und nun also ist dir der Name herausgerutscht?“
„Ja. Vor ein paar Wochen.“
„Sucht deine Tochter nun nach ihrem Vater?“
„Ich glaube nicht. Sie hat nie nachgefragt. Sie war stocksauer, als ich ihr sagte, dass ich ihn in die Wüste geschickt habe. Sie hatte sich wohl immer vorgestellt, dass er gegangen sei. Ansonsten ist sie ein wunderbares, kreatives Kind, sehr aufgeweckt und intelligent. Und ordentlich. Wie ihre Oma.“
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© by Denise Maurer